Die Not der Armen teilen, die Kranken und Gefangenen annehmen – und nie nein zu Jesus sagen. So lebte die heilige Mutter Teresa von Kalkutta, so hat ihr Weggefährte Leo Maasburg die Ordensgründerin erlebt.
Mutter Teresa | Wien – 04.09.2016
Die Heiligsprechung von Mutter Teresa erhellt den Sinn des von Papst Franziskus proklamierten Jahres der Barmherzigkeit. Über die Grenzen von Nationen, Konfessionen, ja Religionen hinweg wurde ihr Name zum Synonym für christliche Nächstenliebe, weil Menschen durch ihr Leben und Lehren etwas von der Liebe Gottes spürten, und weil sich in ihrer selbstlosen Hingabe an die Ärmsten der Armen ihre Ganzhingabe an Jesus spiegelte.
Mutter Teresa war einfach und bescheiden, gleichzeitig die Trägerin einer großen Autorität. Deshalb konnte sie mit Menschen aller Schichten und Bildungsgrade, unterschiedlichster Nationalität und Religiosität sprechen – und sie im Herzen berühren. Sie hat einen Strahl der Liebe Gottes in dieser Welt sichtbar gemacht. Um selbst zu einem solchen Lichtstrahl zu werden, müssen wir laut Mutter Teresa keine großen Dinge leisten, sondern nur „kleine Dinge mit großer Liebe tun“.
Mutter Teresa lebte und lehrte, nicht nur die kleinen Dinge mit großer Liebe tun, sondern ebenso „lieben, auch wenn es weh tut“. Die Quellen ihrer Kraft waren das Gebet, die Eucharistie und ihr eiserner Wille, alles nur durch Jesus, mit Jesus und für Jesus – „only all for Jesus“ – zu tun. Schon 1942 hatte sie ein privates Gelübde abgelegt, „Jesus nie Nein zu sagen“. Solange sie in einer Frage nicht sicher war, was Jesus von ihr wollte, hat sie gebetet, nachgedacht und dann selbst gehandelt. In dem Moment, in dem ihr klar wurde, was er wollte, war für sie auch klar, was sie wollte.
Dunkle Nacht der Seele
Das Leiden hatte in Mutter Teresas Leben eine zentrale Bedeutung. In besonderer Weise erfuhr sie dieses Leiden in der „dunklen Nacht der Seele“, einer Zeit spiritueller Trockenheit und einer schmerzhaft empfundenen, scheinbaren Gottferne. Die Tatsache, dass sie so eine „Nacht der Seele“ durchlitten hat, war nur wenigen Personen bekannt. Es war ein mutiger Schritt und ein Zeichen großer Transparenz, dass der Heilige Stuhl und der Postulator die mystischen Briefe von Mutter Teresa der Öffentlichkeit vorgestellt haben.
Lieben, auch wenn es weh tut
Mutter Teresa
Ein Schritt, der auch Missverständnissen Raum gegeben hat, denn viele verstanden dieses mystische Phänomen falsch: als Glaubens- oder Gotteszweifel. Tatsächlich jedoch handelt es sich bei der „Nacht der Seele“ um ein Phänomen, das in der Mystik bekannt ist und sehr ausführlich bei Johannes vom Kreuz beschrieben wird. Es dient der passiven Läuterung, das heißt der spirituellen Reinigung und dem geistlichen Wachstum des Gläubigen. Letztlich wird der Mensch so immer enger mit Gott verbunden, wo er sich selbst durch eigene Anstrengung nicht weiter entwickeln könnte. Hier übernimmt Gott selbst die Führung.
Es ist eine schmerzhafte Erfahrung, wenn sich Gott von einem Menschen zurückzuziehen scheint, der sich nach der Liebe und Nähe Gottes sehnt. „Gott hat sich von mir entfernt, der Himmel scheint leer, wie auch meine Gebete“, beschrieb dies Mutter Teresa. Bei geduldiger Zustimmung zu dieser Prüfung geht der Mensch seinen Weg und wird durch die Gnade Gottes gereinigt – gerade dadurch, dass Gott so abwesend zu sein scheint.
Die Gottferne tragen – und glauben
So kann Mutter Teresa heute eine Fürsprecherin für all jene sein, die – mit oder ohne eigene Schuld und Sünde – eine Gottferne erfahren. Die „Nacht der Seele“ berührt auch das Geheimnis der Stellvertretung: Manche Seelen nehmen Leiden auf sich, um für Sünder einstehen zu können, die vielleicht selber unfähig geworden sind, umzukehren. Christus selbst ist der Ursprung dieses Heilsweges: Er ist für uns Sünder Mensch geworden, hat gelitten und ist gestorben. Alle Mutmaßungen, Mutter Teresa habe ihren Glauben verloren, beruhen auf einer Unkenntnis dieses mystischen Phänomens. Es ist verständlich, dass Menschen ohne Glauben solche Glaubensphänomene nur psychologisch oder als Schwindel deuten können, da ihnen die Basis für ein Verständnis fehlt. Auch Jesus selbst hatte eine Erfahrung der Gottferne am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46), aber er hatte den Glauben weder verloren noch verleugnet. Wenn ein Mensch diese Gottferne jedoch trägt und erträgt, wird er zum Heiligen – nicht zum Atheisten.
Die Armen werdet ihr immer bei euch haben.
Johannes 12,1
Mutter Teresas Dienst an den Ärmsten der Armen wird erst aus ihrer tiefen Gottesbeziehung verständlich. Doch wer sind eigentlich die Armen, von denen Jesus spricht, wenn er sagt: „Die Armen werdet ihr immer bei euch haben“ (Johannes 12,1)? Jene Stelle im Evangelium, die den Ernst dieser Frage widerspiegelt, ist die Erzählung Jesu über das Jüngste Gericht (Matthäus 25,31-46). Dort wird die Armut in die konkrete Lebenswirklichkeit gebracht: Ich war durstig, ich war hungrig, ich war fremd und obdachlos, ich war nackt, krank und gefangen (Mt 25,31). Hier geht es um den Zustand von Menschen, die in ihrem Menschensein, ja in der Voraussetzung für ein solches zu verletzt sind, um ihre Würde als Menschen und Kinder Gottes leben können.
Hunger ist nicht nur der Hunger nach Brot
Mutter Teresa verdeutlichte die Worte Jesu mit ihrer weltweiten Erfahrung der verschiedensten Formen des Elends: „Hunger ist nicht nur der Hunger nach Brot, sondern – was heute der größte Hunger ist – der Hunger nach Liebe. Durst ist nicht nur nach Wasser. Durst ist die Sehnsucht nach Frieden, Bildung, Wahrheit, Gerechtigkeit, die Sehnsucht nach einem Ende der Gewalt und dem Löschen des Brandes des Kriegs.“
In unsere Zeit hineingesprochen klingen die Worte Mutter Teresas: „Fremd und obdachlos sind wir nicht nur, wenn wir kein Haus aus Ziegeln haben, sondern auch wenn uns ein Menschenherz fehlt, das uns versteht, das uns annimmt, das uns liebt. Obdachlos zu sein heißt ausgegrenzt, nutzlos, ungeliebt zu sein – sehr oft ‚a throw-away product of society‘ (ein Abfallprodukt der Gesellschaft) zu sein. Nackt sind wir nicht nur ohne ein Kleidungsstück, nackt sind wir auch ohne Würde als Menschen, ohne Respekt durch die anderen, unerwünscht als ungeborene Kinder oder rassisch diskriminiert.“
Krank und gefangen waren in Mutter Teresas Augen auch „all jene, die Hoffnung und Glauben verloren haben, die Alkohol- und Drogenabhängigen, aber auch jene, die Gott verloren haben, jene, für die Gott einmal war und Gott nicht mehr ist“.
Für Mutter Teresa bestand der Segen der Armut im Wissen um unsere eigene Abhängigkeit von der Barmherzigkeit Gottes. Erst wenn wir unsere eigene Armut, unsere eigene Erlösungsbedürftigkeit anerkennen, können wir erkennen, dass wir alle der Barmherzigkeit Gottes bedürfen.
Der Autor
Monsignore Leo Maasburg stand Mutter Teresa viele Jahre als Priester und geistlicher Begleiter zur Verfügung. Sein Buch „Mutter Teresa. Die wunderbaren Geschichten“ erschien bisher in 22 Sprachen. Zur Heiligsprechung am 4. September wurde es im Münchner Knaur Verlag in einer erweiterten und aktualisierten Fassung veröffentlicht.
Von Leo Maasburg
Quelle: www.katholisch.de